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Duden

Manchmal, da kommt mir das alles so vor, als ob es nie passiert wäre. Also wirklich gar nicht. Die Tatsache, dass ich einmal scheiße krank gewesen sein soll, erscheint mir dann eher wie ein langer schlechter Traum -ein Traum, aus dem ich irgendwann wieder aufgewacht bin, der mir aber immer noch in den Knochen sitzt. Ihr kennt das doch sicherlich auch, wenn man sehr bewegt geträumt hat. Dann nimmt man den Traum, oder besser gesagt dieses mulmige Gefühl, mit in den Tag. Wenn ich mich darüber unterhalte oder die Erinnerungen hochkommen, dann ist es so komisch, dass das mir passiert sein soll. Genau so unwirklich fühlt sich das Leben vor der Diagnose an. Wenn ich an die Maxi von damals zurück denke, dann kenne ich diese Person nicht mehr. Wie eine alte Schulbekanntschaft, die man früher einmal gut kannte, mit der man sich aber schon lange auseinander gelebt hat. Mensch ja, wat hab ich mich von damals „auseinander gelebt“. In 2 Jahren kann wirklich verdammt viel passieren und man kann in 2 Jahren auch sehr sehr viel älter werden. Das ganze körperliche Brimborium muss ich hier sicher nicht nochmal aufzählen. Da hab ich einfach keinen Bock mehr drauf. Klar hab ich Spätschäden und klar hat die Therapie meinen Körper nachhaltig für immer verändert. Aber wer das hören will, der kauft sich bitte irgendein Medizinbuch oder so n Quatsch… wers braucht.

Richtig ins Eingemachte geht es nämlich erst, wenn die Therapie vorbei ist. Im September hatte ich meine letzte OP. Ich war sogar wieder in „meinem“ Zimmer 206, meine alte Isolierzelle. Und dann packt man seine Tasche, verabschiedet sich von all diesen Menschen die sehr viel Zeit und Arbeit aufgebracht haben, um mich noch ein Weilchen auf der Erde zu behalten. Dann steht man vor der Tür des Hospitals und ist frei.

So viel Freiheit. So schrecklich viel Freiheit.

Sehr lange Zeit wurde mein Leben von meinen Ärzten und meinen Medikamentenplänen organisiert. Ich hangelte mich von Tablette zu Tablette, von Termin zu Termin. Das war Sicherheit in diesem Wahnsinn. Und dann bricht diese Sicherheit weg. Eigentlich echt komisch. Ich wollte so sehr, dass das aufhört. Ich wollte wieder den Alltag einer 20jährigen. Tja. Und dann hab ich sehr schnell bemerkt, dass es diesen Alltag gar nicht mehr gibt. Ich habe ja keine Kinder, keine abgeschlossene Ausbildung, keine Ehe. Meine Beziehung ging kurz nach der Reha friedlich und einvernehmlich auseinander. Diese Krankheit hat mich in einer so doofen Zeit getroffen. Ich war doch gerade dabei, mir alles erst aufzubauen. Und jetzt konnte ich wieder ganz von vorne Anfangen. Resozialisierung. Aber wohin mit sich, wenn man so furchtbar furchtbar frei ist? Wenn man eigentlich nicht so funktionieren kann wie alle anderen, weil man die Kriegswunden innerlich und äußerlich mit sich trägt, alle aber einfach weiter machen wie vorher. Ich will ja eigentlich nicht, dass man auf mich Rücksicht nimmt, aber manchmal will ich es doch. Ich will nicht launisch und anstrengend sein, aber manchmal holt mich alles wieder ein und ich weiß nicht wohin mit mir. Ich will Leben und Lachen, aber manchmal will ich einfach nochmal weinen.

Das ist schon eine Aufgabe, wenn man nochmal anfangen soll. Ich hab mir die Ziele sehr hoch gesteckt: diesmal mach ich es besser. Glücklich sein. Was will ich eigentlich? Was macht mich glücklich? Wohin will ich mit mir? Was kann ich? Das dauert. Bei mir hat das nun fast 1 Jahr gedauert. Ich bin unendlich dankbar, dass die Menschen um mich herum mir das ermöglicht haben, dass ich herausfinden kann, was ich bin, was ich kann und was ich eben nicht kann. Ich weiß jetzt wohin mein Weg geht und das fühlt sich so unendlich gut an. Wie ein Fischchen im Wasser. Ich glaube keiner kann erwarten glücklich zu sein, wenn man dafür nicht kämpft. Vor allem muss man sehr ehrlich zu sich sein.Mein Ablaufdatum stand fest. Definitiv. Ohne Therapie wäre ich jetzt Tod. Das ist eine gute Entscheidungshilfe. Und ja, das sage ich ganz bewusst so. Keiner stirbt früher, nur weil er sich über den Tod Gedanken macht. Und wenn man an Krebs nicht sterben könnte, dann würden nicht alle so eine Scheißangst davor haben. Alles was jetzt kommt ist extra. Jeder Tag. Das darf ich nie vergessen. Was noch geschehen wird weiß ich nicht. Deshalb möchte ich JETZT so leben, wie ich es für richtig halte. Eins ist ganz sicher: das Leben hat tiefere Graustufen und leuchtendere Farben bekommen. Ich habe alles, was ich brauche. Und dabei ist das so herrlich wenig.

Ich habe mich noch nie so sehr wie ich gefühlt. Mein Leben wäre ganz anders, wenn ich nicht krank geworden wäre. Soviel ist sicher. Ich kann nicht sagen, ob ich damit glücklich wäre oder nicht. Vielleicht würde ich gar nicht wissen, was Glück bedeutet. Ich weiß aber ganz sicher, dass ich nicht glücklicher wäre als jetzt.

Irgendwie ist komischerweise ok, was war. Und es ist ok, wie es jetzt ist.

Endlich Frieden.